Als in der Schloss-Schule millionenschwere Kunstwerke hingen – Eine Geschichte über „Entartete Kunst“, Krieg und Provenienzforschung

  • Erstellt von Ralf Martius, Archivar der Schloss-Schule
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Viele Museen und Galerien suchen heutzutage nach den Vorbesitzern von Kunstwerken, die auf dem Kunstmarkt hohe Preise erzielen können. Die Provenienzforschung soll den Museen, Galerien oder auch Kunstliebhabern aufzeigen, dass es sich bei dem Kunstobjekten nicht um Werke handelt, die im Deutschland der 30-iger oder 40-iger Jahren von jüdischen Familien unter dubiosen Umständen erworben wurden. „Raubkunst“ wird, wenn möglich, an die Nachkommen der einstigen Besitzer zurückgegeben. Eine lückenlose Liste der Vorbesitzer von Kunstobjekten kann auch zeigen, ob es sich möglichicherweise um eine Fälschung handelt oder ob ein Diebstahl vorlag.

Das Archiv der Schloss-Schule wurde in der Vergangenheit von Auktionshäusern, Museen und von Kunsthistorikern nach Informationen zu einem ehemaligen Lehrer befragt. Es ging immer um den Kunsthistoriker Dr. Kurt Feldhäusser. Er war von 1944 bis 1945 Musiklehrer an der Schule. Davor unterrichtete er an der Althoff-Schule in Berlin und davor war er Miteigentümer der Galerie F & F, Feldhäusser und Fritze in Berlin.[1]

Ab 1944 bewohnte er im Langen Bau in der Kirchberger Altstadt eine Wohnung, in der er seine Kunstsammlung aufbewahrte. Besucher und Schüler konnten die Kunstwerke sehen. Kunstwerke, die damals in der Öffentlichkeit verboten waren. Die Nationalsozialisten in Deutschland bezeichneten diese verbotene Kunst als „Entartete Kunst“.

Die Sammlung des Musiklehrers beschränkte sich nicht nur auf ein paar Gemälde, die Sammlung muss sehr umfangreich gewesen sein. Die Mutter von Dr. Kurt Feldhäusser berichtete 1947 um was es sich bei der Sammlung ihres Sohnes gehandelt hat:

Seine Räume in der Schloßschule zeigten in Bildern, Plastiken, Bücher und Mappenschränken ausschließlich diese verfehmte Kunst. Sie zeigten damit seine geistige Einstellung, die der nationalsozialistischen zuwider lief.[2]

Bisher sind nur wenige Kunstwerke der Sammlung eindeutig identifiziert worden. Im Beschlagnahmeinventar „Entartete Kunst“ der Freien Universität Berlin finden sich 11 Kunstwerke, die sich einst in Dr. Kurt Feldhäussers Sammlung befanden, darunter Gemälde von Marc Chagall und von Ernst Ludwig Kirchner.[3]

Wie umfangreich diese Sammlung moderner Kunst gewesen war untersucht die Kunsthistorikerin Carol Green aus England. Sie schreibt über Feldhäussers Sammlung ihre Doktorarbeit an der Universität Glasgow. Sie hat mehrfach bereits mit dem Archiv der Schloss-Schule Informationen ausgetauscht und konnte im November 2023 nach Kirchberg reisen.

Sie bot während ihres Aufenthalts an, vor Schülern eine Präsentation über ihren Forschungsstand ihrer Doktorarbeit zu halten. Ein Angebot, welches gerne angenommen wurde. So erhielten die Schülerinnen und Schüler der neunten Klassen und die J2 einen Einblick in die Provenienzforschung, Raubkunst und was vor einigen Jahrzehnten noch als „Entartete Kunst“ bezeichnet wurde.

Ihre Vorträge scheinen einen guten Eindruck hinterlassen zu haben. So schrieb die Schülerin Leonie S.:

Erst einmal möchte ich sagen wie engagiert Frau Green war, man konnte ihr klar ansehen, wie sehr sie das Thema begeistert. Ihr Vortrag war für mich eine ganz neue Facette von Geschichte, eine sehr faszinierende. Ich habe ihn sehr genossen und viel gelernt. Außerdem hat er ein Interesse an „Entarteter Kunst“ geweckt, das ich hoffe noch vertiefen zu können. Sie war sehr offen für Fragen und ich habe den Austausch mit ihr sehr genossen. Ich hoffe ihre Recherche in Kirchberg war erfolgreich und dass auch sie ein bisschen Spaß mit uns hatte.“[4]

Die Nachforschungen zu Feldhäussers Sammlung ist noch lange nicht abgeschlossen. Frau Green konnte dem Archiv der Schloss-Schule weitere Puzzleteile über die Person Dr. Kurt Feldhäusser liefern, so z.B. seine Geburtsurkunde mit einem Vermerk über seinen Tod.[5]

Im Gegenzug lieferte das Archiv Frau Green weitere Textbelege, die über Feldhäussers Aufenthalt in Kirchberg Auskunft geben.[6] Mit Spannung kann also auf die Doktorarbeit von Frau Green gewartet werden.

Wie aber erging es Dr. Kurt Feldhäusser, damals in den 40-iger Jahren in Kirchberg?

Leider geriet er in den Weihnachtsferien 1945, als er Nürnberg besuchte, in einen Luftangriff und verstarb dort. Seine Mutter, die bereits acht Wochen davor in die Wohnung ihres Sohns einzog, blieb bis 1948 in Kirchberg.[7]

Leider ist nicht bekannt, was sie in dieser Zeit mit der Sammlung ihres Sohnes machte. Bekannt ist, dass sie ab 1948 in den USA, wo ihr anderer Sohn wohnte, Kunstwerke an Kunstgalerien und Museen verkaufte.

So kann man heute durch die Suchfunktion auf der Homepage des MoMa in New York bei Eingabe des Namens „Feldhäusser“ mehrere wertvolle Kunstwerke finden, die einst in Kirchberg an der Jagst in einer Wohnung im Langen Bau waren.[8]

 


[1] Staatsarchiv Ludwigsburg EL 903/3 Bü 675 und Die Weltkunst, Jahrg. X, Nr.1 vom 5.1.1936

[2] Archiv der Schloss-Schule, SSG 1.6

[3]

emuseum.campus.fu-berlin.de/eMuseumPlus

[4] Archiv der Schloss-Schule, Schülerbericht, November 2023.

[5] Standesamt Nürnberg II, 1028/1945

[6] Braun, Kolb, Steinmann – Schloß-Schule Kirchberg 1926-1986, Kirchberg 1986; S. 43 und HZAN ZA N DK Öh

[7] Staatsarchiv Ludwigsburg EL 903/3 Bü 675

[8] www.moma.org

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