Im Gespräch mit Prof. Tilo Staudenrausch - April 2024

Prof. Tilo Staudenrausch, Professor für Unternehmenskommunikation und digitale Medien, feiert dieses Jahr sein 40-jähriges Abiturjubiläum und fühlt sich der Schloss-Schule immer noch verbunden. Er bricht die Lanze für alle, die den Mut haben kreative Wege zu gehen und unterstützt leidenschaftlich Studierende an der Hochschule und Unternehmen und Führungskräfte in den jeweiligen Entwicklungsprozessen.
Sein Appell lautet: „Macht es den Kindern so leicht wie möglich, dass sie sich so stark anstrengen wie nötig!“

Was fällt Dir spontan als Erstes ein, wenn Du an die Zeit an der Schloss-Schule denkst?
Als Erstes fällt mir ein, dass ich in meiner Zeit an der Schloss-Schule erwachsen geworden bin. Ich bin erst in der 10. Klasse, mit 16 Jahren, an die Schloss-Schule gekommen. Die meisten in meiner Klasse waren schon älter, im Schnitt 18 Jahre alt, sind bereits Auto gefahren und haben Dinge gemacht, die man eben mit 18 Jahren in den frühen 80-iger Jahren so gemacht hat.
Mein Papa war Zahnarzt und ein Patient von ihm hatte bereits einen Sohn auf der Schloss-Schule und deshalb lag es nahe, dass ich auch nach Kirchberg gehe. Das Internat war eigentlich immer ein „Druckmittel“ meines Vaters. Nach dem Motto: „Wenn Du nicht lernst, dann musst Du auf´s Internat.“ Und irgendwann habe ich dann entgegnet: „Ok – dann gehe ich auf´s Internat!“
So ist das alles zustande gekommen, dass ich überhaupt in Kirchberg gelandet bin. Ich war schon immer eher aufgeschlossen, deshalb hat mir das Ankommen an der Schloss-Schule auch keine Schwierigkeiten bereitet. Im Gegenteil, manchmal habe ich sogar so empfunden, dass ich hier mehr Raum hatte als zu Hause und das Internat meine Bühne war. Ich habe die Zeit für mich persönlich als extrem spannend erlebt.

Erzähle doch gerne etwas zu Deinen schulischen Stationen bevor Du auf die SK gekommen bist?
Die Einbindung von kreativen Menschen in unserem Bildungssystem gelingt wenig bis gar nicht. Für mich persönlich gibt es nichts schlimmeres als das Notensystem. Viele arbeiten nur auf eine Note hin, aber das, was eigentlich dahintersteckt oder welches Potential grundsätzlich bei den Einzelnen vorhanden ist, wird leider meist weder berücksichtigt noch gezielt gefördert.
In meiner jetzigen Funktion als Professor bemerke ich häufig selbst bei den kreativen Studierenden Widerstände, weil ich inhaltlich orientiert arbeite. Die Prüfungsleistungen sind häufig Projektarbeiten. Dabei geht es nicht um das eine richtige Ergebnis, sondern die Entwicklung einer Gestalterpersönlichkeit. Das lässt Freiräume für Entwicklungen offen und es gibt mehr, als nur eine richtige Lösung. Diese Haltung irritiert zunächst viele, da sie einfach durch unser Schulsystem anders geprägt sind.

Was hat sich in Kirchberg geändert?
Es gab für mich Personen, die mir ein Vorbild waren und die anders gearbeitet haben. Kreative Köpfe, wie Bruno Seeber zum Beispiel. Wenn ich das so salopp ausdrücken darf – der Elon Musk des Kunstunterrichts. Hier konnte ich mehr annehmen und der Zugang ist mir leichter gefallen. Witzigerweise hatte ich anschließend an der Hochschule einen Professor, der für mich die akademische Fortsetzung von Seeber war. Diese beiden habe ich als synchrone Persönlichkeiten wahrgenommen. Beide haben mir die uneingeschränkte Leidenschaft, für das was du tust, gezeigt und vorgelebt. Letztendlich ist es mir auch egal, was die anderen Leute von mir denken. Es steht immer die Sache im Vordergrund und der bist du verbunden.
Was sich in Kirchberg tatsächlich geändert hat – ich habe meine damalige Freundin kennengelernt, mit der ich auch relativ lange liiert war. Und dann habe ich mich in dieser Zeit auch angefangen für andere Dinge zu interessieren. Auch abends auszugehen, manchmal auch verbotenerweise. Aber das hätte man zu Hause sicher auch gemacht.

Was hast Du als prägend erfahren? Welche Werte, Lebensweisheiten und sonstigen Dinge begleiten Dich noch heute?
Da gibt es für mich spontan nicht eine spezielle Sache. Es ist für mich eher das Konglomerat aus allem. Ich denke, ich habe mir aus den verschiedenen Menschen und Persönlichkeiten unterschiedliche Dinge, die für mich relevant waren, rausgezogen. Es gab im rhetorischen Bereich sehr starke Vorbilder und auch im künstlerischen Bereich. Außerdem lernt man ja auch von Menschen, die man nicht so gut findet. Da weiß man dann auch schnell, was oder wie man selbst nicht sein möchte.
Ein Spruch ist mir im Gedächtnis: „Wenn du nichts machts, passiert auch nichts.“ Dieser Satz steht für mich dafür, dass du dein Leben selbst in die Hand nehmen musst.
Ich habe damals beispielsweise Rock ’n’ Roll Tanzkurse gegeben. Ich habe mir Dinge angeeignet und sie unterrichtet. Das ist noch heute so. Autodidakt. Zuschauen lernen, nachmachen.
Für so etwas war auf jeden Fall Raum da an der Schloss-Schule. Man konnte sich ausprobieren.
Im Bereich Musik hätte ich mir gewünscht, dass wir noch mehr Angebot gehabt hätten. Die Zeit der frühen 80-iger Jahren war ja wirklich unglaublich, was sich da musikmäßig getan hat.
Und dann fällt mir noch etwas ein. Ich als „Internatskind“ bin bis heute der Meister im Buffet-Essen. Irgendwie habe ich mir intuitiv angeeignet, wann ein günstiger Augenblick ist, zum Buffet zu gehen und ausreichend Essen zu bekommen.
Auch das Netzwerken mit Menschen und die Differenzierung, was wichtig und was überflüssig ist, habe ich durch meine Zeit in Kirchberg gelernt. Wenn du als 16-jähriger nachts um 3 Uhr Hunger hast, ist es ratsam, dass du mit der Küchenchefin, damals Marianne, gut kannst, sonst hast du einfach Pech. (er grinst) Und das zieht sich bis heute durch. Es gibt immer Menschen in dem eigenen Umfeld, die wichtig sind und dich stützen und wen du selbst fördern kannst. Hier gilt es aufmerksam zu sein. Das habe ich auf der Schloss-Schule gelernt.

Wie ging es nach der SK weiter?
Im Oktober 1984 bin ich für 2 Jahre zur Bundeswehr. Dort bin ich als Leutnant der Reserve ausgetreten. Für mich war klar, dass ich eine Position haben möchte auf der ich Dinge mitentscheiden kann, deshalb habe ich mich bewusst für diesen Weg entschieden. Bei der Bundeswehr habe ich auch extrem viel gelernt. Beispielsweise über Führung und auch wie sich Menschen verändern, wenn sie „Macht“ haben.
Danach wollte ich unbedingt Design studieren und habe dann im 2. Anlauf die Aufnahmeprüfung zum Schmuck- und Industriedesign geschafft. Im Vorfeld dann noch die Gold- und Silberschmiede-Ausbildung. Meinem Vater musste ich in dieser Zeit klarmachen, dass ich nicht Zahnmedizin studieren werde.  
Nach dem Studium war ich genau 3 Monate in einem Angestelltenverhältnis und habe sehr schnell gemerkt, dass ich in diesem Leben keinen Chef mehr haben möchte. Daraufhin habe ich mich selbständig gemacht und bin dies bis heute, jetzt seit 31 Jahren. Ich führe zusammen mit meiner Frau eine Agentur und begleite Unternehmen und Führungskräfte bei den Herausforderungen der Positionierung, der Unternehmenskommunikation, Innovation und Umsetzungsprozessen. Ich finde es wahnsinnig spannend mit meinen Kunden kreative Lösungen für deren Probleme zu entwickeln. Auch an der Hochschule bin ich als freiberuflicher Professor tätig. Ich brauche meine Freiheit und das Gefühl, dass ich morgen gehen kann. Und habe einfach einen großen Drang nach Selbstbestimmung.

Falls Du schon mal ein Klassen- oder Jahrgangstreffen hattest, welche Geschichten und Anekdoten dürfen hierbei nicht fehlen?
Generell kann ich hierzu sagen, dass ich in den letzten Jahren nicht regelmäßig an Treffen teilgenommen habe. Trotzdem habe ich eine tiefe Verbundenheit, die sich für mich nicht durch Quantität der Zusammenkünfte, sondern durch Qualität auszeichnet.
Zwei Anekdoten fallen mir direkt ein. Gelegentlich haben wir uns abends rausgeschlichen. Einmal sind wir ins Kino nach Crailsheim und wollten entspannt unseren Film schauen. Leider haben wir zu spät gesehen, dass zwei Reihen hinter uns „Bo“ gesessen hat. Das gab Ärger mit Hausarrest! Und das andere Mal hatten wir ähnlich viel „Glück“. Wir sind abends in den Wasserturm nach Crailsheim, damals eine Kneipe, und direkt beim Reingehen sind wir zwei Lehrern in die Arme gelaufen. Das ist echt auch nicht gut angekommen! Wir wurden natürlich umgehend wieder nach Hause ins Internat geschickt.
Und was mir noch einfällt ist, dass es auf den Fluren öffentliche Fernsprecher gab. Wenn jemand auf der Nummer angerufen hat, haben die natürlich geklingelt und zwar ziemlich laut. Diejenigen, die weiter vorne ihre Zimmer hatten, hatten sozusagen „Telefondienst“, weil sonst keiner ran gegangen ist.

Wofür bist Du dankbar?
Es gibt sehr viel Dinge wofür ich dankbar bin. Ich bin sehr dankbar, dass alles in meinem Leben bisher so lief wie es gelaufen ist. Auch für die Schloss-Schul-Zeit bin ich dankbar. Meine prägendsten Eigenschaften sind Sorglosigkeit und mein Optimismus. Auch dafür bin ich dankbar, weil mir das das Leben oft leichter macht. Und was ich auch noch erwähnen möchte, sehr dankbar bin ich auch für meine Gesundheit!

Was würdest Du heute, rückblickend auf Deine Schulzeit, anders machen?
Alles. Ich würde heute mit Sicherheit früher von der Schule abgehen und würde was „Vernünftiges“ lernen. Etwas ganz bodenständiges, beispielsweise Installateur, Bauer oder so was in die Richtung.

Würdest Du gerne die Schule unterstützen? Wenn ja, was könntest Du Dir vorstellen?
Ich könnte mir gut vorstellen die Schule zu unterstützen. Beispielsweise aufzuzeigen, wie kreative Prozesse entstehen. Gerne innerhalb des Kollegiums und auch in der Oberstufe. Ebenfalls habe ich mich beim Berufs-Info-Abend eingebracht. Ich teile meine Geschichte gerne, um zu zeigen, dass ganz viel möglich ist.

Was gibt es sonst noch, was Du gerne teilen möchtest?
Mein Appell grundsätzlich ist: „Macht es den Kindern so leicht wie möglich, dass sie sich so stark anstrengen wie nötig!“ Die jungen Menschen benötigen in der Förderung manchmal auch ein wenig Druck, dass sie Resilienzen aufbauen können. Die sind unabdingbar für das weitere Leben. Man muss den Kids die Angst vor Fehlern und dem Scheitern nehmen und offen sein für andere Wege und Menschen!